28. Januar 2016

Falckenstein - Feuerstuhl



Nature / Metronome 0060.268 - 1980 - 43:15 Min.

  Die Songs :

Seite 1
  1. Feuerstuhl
  2. Deutscher Sonntagnachmittag (Fahrverbot!)
  3. Sei gut drauf (Der Endgültige!)
  4. Herr von Falckenstein


 Seite 2
  1. Graues Meer
  2. Sehnsucht
  3. Im Quellengrund
  4. Kein schöner Land


Eine von Goethe aus dem Elsaß mitgebrachte Volksweise mit dem Titel "Herr von Falkenstein" (ohne "ck") bewog einst die Gruppe, um die es heute gehen soll, sich einen prägnanten Namen für ihr Vorhaben zuzulegen. Ob das deutsche Adelsgeschlecht gleichen Namens (mal mit, mal ohne "ck") dabei auch eine Rolle gespielt hat, ist mir bisher verborgen geblieben. Die Historiker unter Euch werden das sicher wissen...

Betrachtet man das Cover von Falckenstein's LP Feuerstuhl, stellt man sich vielleicht nicht ganz zu Unrecht die Frage nach dem musikalischen Inhalt der Platte und ob man wirklich das Werk einer Folk-Gruppe in den Händen hält. Irgendwie wollen Motorräder und Volkslieder nicht so recht zusammenpassen...
 So stand ich neulich also etwas irritiert im Plattenladen und entschied mich, einer mir unbekannten Band mit Bezug zur Stadt Münster mal eine Chance zu geben. Bin ja ohnehin ständig um Nachschub bemüht und ausserdem ein Fan guter Musik aus der Heimat...

Tja, was soll ich sagen, die Anschaffung hat sich definitv gelohnt. Doch bevor ich verrate warum, noch schnell zu den Wurzeln Falckensteins: Die Grundsteine wurden vom Geiger Michael Thaut und dem Gitarristen Martin Hannemann bereits im Jahr 1973 in Münster gelegt. Hannemann hatte während einer Abitur-Klassenfahrt nach London ein Konzert der irischen Folkband The Dubliners gesehen und war offensichtlich so angetan, dass er beschloss, eine eigene Band zu gründen. Thaut und Hannemann spielten fortan unter dem Namen Rambling Pitchforkers und sammelten erste Erfahrungen, indem sie die Musik der Dubliners coverten. Mit dem später hinzugekommenen Multiinstrumentalisten Thomas Kagermann entstand schließlich Fiedel Michel, eine bis heute geschätzte Folkband. Die zeitweise zum Quintett herangewachsene Gruppe (der Gesang wurde zeitweise durch Elke Herold und Monika Domin ergänzt) erspielte sich einen Namen in der Folk-Szene und unterstützte die ersten Gehversuche der Anti-AKW-Bewegung in NRW, indem sie den gewaltfreien Widerstand gegen die Atomkraft propagierte.



Sprung ins Jahr 1980.

  In der Besetzung Monika Marie Domin (Hackbrett, akustische Gitarre, Gesang), Mick Franke (verst.2001, Bass-Bouzouki, Bouzouki, akustische Gitarre, E-Gitarre, Gesang), Thomas Kagermann (Geige, akustische Gitarre, Dudelsack, Piano, 12 saitige E-Gitarre, Gesang), Peter "Plüff" Löwner (verst.2007, fretless/bundloser Bass, Gesang), Joachim Luhrmann (Schlagzeug, Percussion, Gesang) und Wendelin Werner (6- und 12-saitige E-Gitarre, akustische Gitarre) nimmt die Band unter Mithilfe des Männergesangsvereins Neunkirchen-Seelscheid (und weiteren Gastmusikern) in Conny Plank's "Conny's Studio" Aufnahmestudio (Kraftwerk, Jane, DAF, Ideal, etc.), auf. 
Ergebnis ist eine, dem damaligen Zeitgeist entsprechende, aber doch ungewöhnliche Schallplatte.

Thematisch drehen sich sämtliche Songs um die Freiheit, die Reise durch unser schönes Deutschland. Wo andere deutschsprachige Bands dieser Zeit textliche Inhalte weitaus konservativer formulieren mussten, siehe DDR-Bands wie Karat, die in Songs wie Albatros (...Sklaven der Erde) die Sehnsucht nach Freiheit aus Angst vor Zensur und Repressalien nur verschlüsselt mitteilen konnten, ging es vielen westdeutschen Interpreten dabei viel eher um Dinge wie Freizeitbeschäftigung und Lebensgefühl. 

Ab dem Jahr 1980 setzte sich eine musikalische Neuorientierung durch; die Neue Deutsche Welle. Diese brachte mit der Abkehr vom Schlager, hin zum frechen Ableger der englischsprachigen Punk- und New Wave Szene einen Wandel, dem sich...und damit wären wir wieder beim Wesentlichen, allzu offensichtlich nicht einmal bodenständige Folk-Bands wie Falckenstein komplett entziehen konnten oder mochten.

Glücklicherweise handelte es sich 1980 noch um die Frühausleger der NDW und nicht um deren peinliches Ende ein paar Jahre später. Spürbar wird das im Text des titelgebenden Openers, dessen lässig-lockerer Chorus"Vorwärts, Vollgas, raus aus dieser Stadt, hinaus bis ans Ende der Welt, denn das Leben zu leben, sich den Träumen hinzugeben ist besser als ein Arsch voll Geld...usw" um damals angesagte Jugendjargon-Ausdrücke wie "easy", "cool" erweitert wurde und somit durchaus mit dem Zeitgeist flirtete. Heute klingt das eher altbacken, dokumentiert aber wunderbar die Veränderungen unserer Sprache. Darüberhinaus sickerte ein prägendes, elektronisches Instrument in die Musik ein; der Synthesizer. 
In Sei Gut Drauf (Der Endgültige) verquickt die Band einen halbwegs tanzbaren Funk-Beat inklusive funkig-geslapptem Bass (damals auch sehr angesagt) mit einem Moog-Grundthema, was wiederum eher auf Jazz-Einflüsse (der Moog wurde von Hendrik Schaper, der seinerzeit Klaus Doldinger's Passport begleitete, eingespielt) und einem Annäherungsversuch an die DISCO-Ära schliessen lässt.

Die wirkliche Faszination dieser Platte machen für mich aber andere Stücke aus. So bekommen wir gleich mit dem zweiten Song Deutscher Sonntagnachmittag (Fahrverbot!) ein wunderbares Instrumental präsentiert. Die maximal entspannte Stimmung, die hier eine elektrische Gitarre am Anfang erzeugt, wird zunehmend von Monika Marie Domins Hackbretteinlagen dominiert. Wie die Nummer allerdings eine Assoziation zum ölkrisenbedingten Fahrverbot der frühen und späten 70er herleiten soll, ist mir schleierhaft.

"Es reit der Herr von Falkenstein, wohl über eine weite Heide. Was sieht er an dem Wege stehn? Ein' Jungfrau mit weissem Kleide..."

Wer sich irgendwann einmal in die heimatsprachliche Musik verliebt hat, wird Songs wie Herr Von Falckenstein nur schwerlich widerstehen können. Auf der einen Seite lässt es sich wunderbar zuhören, wie die Geschichte sich einst zugespielt haben könnte, zum anderen ist diese bei einer Gruppe mit entsprechender Vorgeschichte, wie Falckenstein sie eben hatte, bestens aufgehoben. Die musikalische Umsetzung ist meisterhaft gelungen und dürfte auch im Jahr 2016 den einen oder anderen Hörer begeistern. So bekommen wir neben mehrstimmigem Gesang ein Wechselspiel zwischen dem Herren und schönen Maid zu hören, und wird die Rolle der Hauptakteure dieser Story sehr schön umgesetzt. Hörenswert ist aber auch der knapp vierminütige Instrumentalteil der Nummer. Das Hackbrett, diesmal sehr portioniert und im Wechsel mit einer akustischen Gitarre, dann der Übergang in ein schönes Saxophon-Solo. Grandios !

Der Opener der zweiten Seite, Graues Meer (Komponist: Walter Scherf, Märchenforscher und Hobbit-Übersetzer), profitiert wieder von Domins hervorragenden Fähigkeiten. Ihre glasklare Gesangsstimme nimmt, ebenso wie ihr Hackbrettspiel erneut vom Fleck weg gefangen. Grundsätzlich fühle ich mich hier allerdings, spätestens mit dem Einstieg des Synthesizers, der mich an den Sound von Lutz Rahn erinnert, an eine weitere meisterliche Gruppe dieser Stilrichtung erinnert: Novalis.
  
Es folgt mit Sehnsucht ein von der elektrischen Gitarre dominiertes und sehr entspanntes Instrumental, bevor Kagermanns Geigenspiel den vorletzten Titel Im Quellengrund einleitet. Ebenfalls ohne jeglichen Gesang, dominiert die Geige dieses knapp siebenminütige, dritte Instrumental auf Feuerstuhl. Mir persönlich wird das jetzt eine Spur zu viel, aber dem einen oder anderen wird die Demonstration der Fähigkeiten der Musiker sicher gefallen.

Das abschliessende Volkslied Kein Schöner Land wird eingeleitet vom Männergesangsverein aus Neunkirchen-Seelscheid. Im Ortsteil Wolperath, dem damaligen Sitz des 1987 verstorbenen Studiobetreibers Conny Plank, wurde die Platte produziert, so kam die Zusammenarbeit mit dem MGV sicher zustande. Deren Gesangsspur wird immer wieder unterbrochen von instrumentalen Einspielungen der Band. Die ebenfalls eingespielten Ausschnitte der Hitler-Ansprache vom 1.September 1939 vor dem deutschen Reichstag "...seit 5:45 wird zurückgeschossen" und der anschliessenden Synthesizer-Imitation vom Klang fliegender Bomber mag man finden wie man will...ich persönlich sehe es 77 Jahre später eher als Mahnung vor ausufernder Selbstzufriedenheit Deutschlands im Jahr 1980, denn als irgendetwas anderes. 

Im Jahr 2016 täte unserer Republik eine solche musikgewordene Aufforderung zum Nachdenken sicher erneut ganz gut, jedoch muss man angesichts der derzeiten Lage und dem Verhalten unserer ach so besorgten "Wutbürger" in den sogenannten sozialen Netzwerken konsultieren, dass die Bemühungen Falckensteins gut gemeint aber nicht sehr nachhaltig waren. 

Ich möchte betonen, wie viel Spaß es mir gemacht hat, Feuerstuhl aus meiner Sichtweise als Hörer zu zerlegen und zu versuchen, ein paar Hintergründe herauszufinden. Wer die Scheibe findet und auf den beschriebenen Inhalt steht, sollte unbedingt zugreifen. Alle anderen Hörer können sich sicher sein, daß ihre Sammlung um eine Scheibe bereichert wird, die im ersten Moment merkwürdig tönen mag, aber im Laufe der Zeit wächst und als nachhaltige Anschaffung betrachten. 

Mir gefällt der Feuerstuhl persönlich sehr gut und ich verabschiede mich bis zur nächsten Platte.


Bernd